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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Rassistischer Anschlag Keine Antworten – auch drei Jahre später nicht

Vor drei Jahren ermordete ein Mann in Hanau neun Menschen. Auch heute weiß man noch immer nicht genau, was in der Tatnacht wirklich geschah.
Heute, am 19. Februar, jährt sich der rassistische Anschlag von Hanau zum dritten Mal, bei dem ein 43-jähriger Deutscher neun Menschen mit Migrationsgeschichte ermordete. Erst tötete der Attentäter in der Bar "La Votre" gegen 21.50 Uhr den Mitarbeiter Kaloyan Velkov, anschließend auf der Straße vor der Bar Fatih Saraçoğlu. In der Shisha-Lounge "Midnight" stirbt das dritte Opfer, Sedat Gürbüz. Zehn Minuten später ermordet der Attentäter Vili Viorel Păun in seinem Auto am Kurt-Schumacher-Platz in Hanau-Kesselstadt.
Danach sterben in der "Arena-Bar" und dem anschließenden Kiosk Gökhan Gültekin, Mercedes Kierpacz, Ferhat Unvar, Hamza Kurtović und Said Nesar Hashemi. Neun Menschen. Ermordet von einem Rassisten.
Drei Jahre später ist immer noch nicht klar, was genau in der Tatnacht wirklich geschah. Notrufe gingen bei der Polizei nicht ein, der Notausgang in der "Arena-Bar" war wohl verschlossen. Und es bleiben weitere Fragen offen: Wo bleibt die von der Politik versprochene Zäsur nach Hanau, wo der entschlossene Kampf gegen Rassismus?
Viele Fragen sind bis heute offen
Bis heute vermuten Angehörige und Überlebende, dass der Notausgang in der "Arena-Bar" verschlossen war. Die Staatsanwaltschaft hingegen hat das Verfahren eingestellt. Selbst wenn die Tür nicht verschlossen wäre, hätte das keinen Einfluss auf das Tatgeschehen gehabt, lautete die Begründung der Staatsanwaltschaft. Die Angehörigen jedoch beließen es nicht dabei und gaben ein Gutachten bei der Agentur "Forensic Architecture" in Auftrag. Anhand der Überwachungskameras rekonstruierten sie die Tatnacht. Das Ergebnis: Die Tür war verschlossen und die Opfer starben, weil sie nicht fliehen konnten.
Vereinzelt gingen in der Tatnacht Notrufe bei der Polizei nicht ein. Warum? Weil der Notruf nicht ausreichend besetzt war. Es war nur eine Polizistin vor Ort, außerdem fehlte es an der nötigen Technik, um die eingehenden Anrufe an andere Polizeidienststellen weiterzuleiten. So auch bei einem der Opfer, bei Vili Viorel Păun. Er verfolgte den Attentäter mit seinem Auto und rief dreimal bei der Polizei an. Doch seine Anrufe gingen nicht durch. Kurz darauf wurde er erschossen.
Sein Vater entdeckte später die Anrufe auf dem Handy seines Sohnes. Er ist sich sicher, wenn die Anrufe durchgegangen wären, dann würde sein Sohn heute noch leben. Vili Viorel Păuns Vater erstattete Anzeige, doch die Staatsanwaltschaft lehnte die Einleitung eines Verfahrens ab.
Auch die Rolle von Hans-Gerd R., dem Vater des Attentäters, ist bis heute nicht aufgeklärt. Er stand wegen rassistischer Beleidigung vor Gericht, tauchte wiederholt vor der Wohnung einer Hinterbliebenen auf, beleidigte und bedrohte sie. Er will, dass die Gedenkorte in der Stadt, die für die Opfer geschaffen wurden, weggeräumt werden.
Ein Untersuchungsausschuss soll bei der Aufklärung helfen
Die offenen Fragen soll seit Juli 2020 ein Untersuchungsausschuss im hessischen Landtag klären. Der Ausschuss soll dabei helfen herauszufinden, ob es in der Tatnacht Versäumnisse durch die Polizei gegeben hat. Im Sommer dieses Jahres soll es dann einen Abschlussbericht geben.
An diesem Sonntag wird mit einer Gedenkstunde und weiteren Veranstaltungen in Hanau an die neun Opfer des rassistischen Anschlags vor drei Jahren erinnert. Mit dabei sind auch zahlreiche Vertreter aus Politik, von Religionsgemeinschaften und dem öffentlichen Leben, darunter Bundesinnenministerin Nancy Faeser, die bei der hessischen Landtagswahl im Oktober als SPD-Spitzenkandidatin antritt, und der hessische Ministerpräsident Boris Rhein (CDU). Zudem sind ein Gottesdienst in der Hanauer Marienkirche, eine Kundgebung und eine Demonstration geplant.
- Eigene Recherche
- taz.de: Es gibt keine Ruhe
- hessenschau.de: Was der Hanau-Ausschuss bislang offengelegt hat - und was nicht
- sueddeutsche.de: Drei Jahre nach dem Anschlag
- fr.de: Anschlag von Hanau: Kontroverse um Notausgang