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Frankfurt am Main

Frankfurt Bahnhofsviertel: Ex-Crack-Dealer hilft Süchtigen – Kritik


Bahnhofsviertel
Ex-Dealer als Helfer oder Hasardeur?


07.05.2025 - 15:02 UhrLesedauer: 5 Min.
Mohamed "Mo" Bousaaidi im Frankfurter Bahnhofsviertel. Er engagiert sich ehrenamtlich für obdachlose Suchtkranke.Vergrößern des Bildes
Mohamed "Mo" Bousaaidi im Frankfurter Bahnhofsviertel. Er engagiert sich ehrenamtlich für obdachlose Suchtkranke. (Quelle: Oscar Fuchs)
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Früher verkaufte er Crack und Kokain, jetzt hilft er Drogensüchtigen auf der Straße. Im Netz erreicht er Tausende, doch an seinem Projekt gibt es auch Kritik.

Mohamed "Mo" Bousaaidi steht vor einem Kiosk auf der Moselstraße, an der Kreuzung zur Niddastraße zwischen Konsumenten in der offenen Drogenszene des Frankfurter Bahnhofsviertels. Ein Mann hält ihm wortlos seine Crackpfeife hin, bittet ihn darum, mit seiner Zigarette hineinzuaschen. Bousaaidi tut es ohne zu Zögern. "Die nehmen die Asche als Filter fürs Crack", sagt der 35-Jährige. Eine weitere suchtkranke Frau kommt dazu, umarmt ihn wortlos.

Wenn Bousaaidi durch das Viertel geht, kommen immer wieder Menschen auf ihn zu. Er grüßt Suchtkranke, die abhängig sind von Crack, Heroin oder Fentanyl, sucht Gespräche, schüttelt Hände, verteilt Zigaretten. Bis vor einigen Jahren war er selbst Teil der anderen Seite der Szene. Vielen Menschen hier habe er früher selbst Drogen verkauft: Crack und Kokain, um seine Spielsucht zu finanzieren und Schulden abzubezahlen. Letztlich sei er hoch verschuldet gewesen. Er landete erst für sechs Monate in Untersuchungshaft, wurde verurteilt, saß seine rund zweijährige Haftstrafe allerdings in Form einer Suchttherapie ab.

Die Stadt sieht ihn kritisch

Bousaaidi sagt, er wolle etwas wiedergutmachen. "Ich war ein Arschloch." Inzwischen ist er seit drei Jahren mit seinem Projekt "Aruon" ehrenamtlich aktiv. Er begleitet suchtkranke Menschen zur Entgiftung in die Psychiatrie, verteilt Lebensmittel, Kleidung und Hygieneartikel. Über seine Kanäle in den sozialen Medien hat er mehr als 50 Mitstreiterinnen und Mitstreiter gefunden, die nun außer in Frankfurt auch in Hamburg, Köln und Berlin obdachlosen Suchtkranken helfen wollen. Tausende folgen ihm auf TikTok, viele feiern ihn als "Sozialarbeiter von der Straße".

Doch nicht alle sehen das so. Elke Voitl (Grüne), Frankfurts Sozial- und Gesundheitsdezernentin, äußert in einem Brief an Bousaaidi und sein Team bereits im Dezember deutliche Zweifel: "Das Vorgehen Ihrer Initiative lässt sich schwerlich mit den Ansätzen der Frankfurter Sucht- und Drogenhilfe kombinieren." Ehrenamtliches Engagement sei grundsätzlich willkommen, doch müsse sich jeder fragen, ob sein Einsatz wirklich helfe – oder dazu beitrage, dass Menschen in ihrer Situation verharren, heißt es darin. Eine deutliche Absage an eine von Bousaaidi erhoffte Zusammenarbeit also.

35 Menschen habe er aus der Sucht geholfen

Ein Kritikpunkt der Stadt und von professionellen Suchthelfern: Bousaaidi und seinen Mitstreitern fehle es an Fachwissen. Wolfgang Barth, Leiter des Drogennotdienstes des Vereins Jugendberatung und Jugendhilfe in der Elbestraße 38, sagt: "Wenn man hier eine Hilfe leisten will, dann braucht man dafür eine Qualifikation und einen Auftrag. Alles andere ist in irgendeiner Art unprofessionell."

"Mo" Bousaaidi entgegnet: "Wir bringen die Leute zu Therapeuten und zur Entgiftung." Die städtische Drogenhilfe wolle er nicht ersetzen. "Ich sehe mich als Mischung aus Sozialarbeiter und jemandem, der aus der Sucht kommt." Dabei verweist er auf Erfolge: "35 Menschen haben wir rausgeholt aus dem Bahnhofsviertel." Unabhängig lässt sich die Zahl nicht überprüfen. Der 35-Jährige erzählt etwa von einer schwer abhängigen Frau, die er immer wieder in die Entgiftung gebracht habe. "Erst beim neunten Mal hat es geklappt." Inzwischen habe sie die Szene verlassen und sei clean.

Voyeurismus für Klicks?

Doch Bousaaidi und seine Gruppe sind nicht nur auf der Straße unterwegs – sondern sehr aktiv auch in sozialen Medien. Täglich macht der 35-Jährige Live-Streams auf TikTok, regelmäßig veröffentlicht er YouTube-Videos. Darin zeigt er sich im Gespräch mit Süchtigen, die von ihrem Leben und der Situation auf der Straße erzählen.

Sozial- und Gesundheitsdezernentin Voitl schreibt ihm dazu, dass professionelle Mitarbeitende in der Sucht- und Drogenhilfe es skeptisch sehen, die Lebenssituation der Suchtkranken in Social-Media-Kanälen zu präsentieren. So könnte ein abfälliger Voyeurismus bedient und die Suchtkranken abfälligen Kommentaren ausgesetzt werden. Ein Sprecher des Gesundheitsdezernats sagt t-online: "Wir sehen vermehrt Influencer, die mit dem Leid anderer Klickzahlen generieren wollen."

Crack und Fentanyl

Bousaaidi weist das zurück. "Ich nutze Leute nicht für Klicks aus", sagt er. Er frage sie nach ihrem Einverständnis und begegne ihnen auf Augenhöhe. Seine YouTube-Videos sind in der Tat weniger auf den Schockfaktor aus, zeigen die Menschen nicht beim Konsum, sondern im Gespräch. Auch er sehe bestimmte Videoformate kritisch, gerade im Privatfernsehen. Dort bekämen Suchtkranke Geld, um sich beim Drogenkonsum filmen zu lassen.

Kritisch sehen kann man indes das, was Bousaaidi "Schweinejagd" nennt. Über seinen TikTok-Account stelle er Männer bloß, die teils minderjährigen Drogensüchtigen Kleinstbeträge anbieten und sie dafür sexuell ausnutzen. Es komme zu Missbrauchsfällen, bei denen die Freier die Süchtigen tagelang in ihrer Wohnung behalten, sagt Bousaaidi. Er konfrontiere die Freier, filme aber nicht ihr Gesicht, sagt er. Sein ursprünglicher TikTok-Account sei wegen dieser Inhalte gelöscht worden.

Bousaaidis "Schützlinge"

Beim Gang durch das Bahnhofsviertel mit t-online trifft Bousaaidi immer wieder auf "Schützlinge", wie er sie nennt. Ein Begriff, den das Sozialdezernat ablehnt, da er ein Machtgefälle herstelle. Einer von ihnen ist der 25 Jahre alte Julian, der eigentlich anders heißt. Er sei seit er 13 in der Szene unterwegs. Was er konsumiert? "Crack und Fentanyl", sagt er. 31 Entgiftungen habe er schon hinter sich, die letzte vor drei Tagen.

Kurz darauf sitzt er hinter einem Klohäuschen in der Moselstraße, erhitzt ein Fentanyl-Pflaster in einem Stück Alufolie und atmet den Dampf des synthetischen Opioids durch ein Röhrchen ein. Um sich seine Sucht zu finanzieren, brauche er 150 bis 200 Euro pro Tag. Wie er sich das finanziert? "Betteln, Flaschensammeln und halt Escort", sagt er.

Seine neuen Turnschuhe habe er am Sonntag bei einer Verteilaktion der Initiative erhalten. Heute nimmt Bousaaidi ihn mit zu einem Friseur, bezahlt ihm seinen Haarschnitt mit Spendengeldern. Bousaaidi fragt ihn zwischendurch, was er von seinem Projekt hält. Julian hält kurz inne, sagt dann: "Ich fänd es besser, wenn ihr die Stadt nicht konfrontiert." Gemeinsam sei mehr möglich.

Kritik an Stadt löst Irritationen aus

Tatsächlich hatte Bousaaidi wiederholt zu Demonstrationen aufgerufen – gegen die Drogenpolitik der Stadt und "für mehr Menschlichkeit". Verantwortliche reagierten mit Unverständnis auf die Vorwürfe, die Hilfsangebote seien unsozial, unmenschlich und unzulänglich: Sozialdezernentin Elke Voitl betonte, dass gerade diese Werte für Mitarbeitende der Sucht- und Drogenhilfe und die Frankfurter Drogenpolitik selbstverständlich seien.

Wie nachhaltig das Projekt in seinen Zielen ist, Menschen aus der Sucht zu helfen, bleibt offen. Wolfgang Barth, Leiter des Drogennotdienstes in der Elbestraße sagt: Solange die Initiative die Arbeit der professionellen Suchthilfe nicht störe oder behindere, nehme der Drogennotdienst sie eigentlich kaum wahr. Ein Nebeneinander scheint zumindest also nicht ausgeschlossen zu sein. Einen Ersatz für die städtische Drogenhilfe bieten Bousaaidi und sein Team nicht. Vielleicht aber eine Ergänzung.

Verwendete Quellen
  • Reporter vor Ort/Eigene Recherche
  • Interview mit Initiatoren des Projekts
  • Gespräch mit Sprecher des Sozial- und Gesundheitsdezernats
  • Antwort von Stadträtin Elke Voitl (Grüne) auf CDU-Anfrage zu der Initiative, Stadtverordnetenversammlung am 5. Dezember 2024
  • Schreiben von Voitl an die Initiative vom 13. Dezember
  • Interview mit Wolfgang Barth, Leiter des Drogennotdienstes des Vereins Jugendberatung und Jugendhilfe
  • youtube.com: "Jessy will nicht mehr Rumpelstäbchen genannt werden (REUPLOAD)", abgerufen am 7. Mai 2025

Quellen anzeigenSymbolbild nach unten

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